Mit dem Fahrrad von Chemnitz nach Berlin in einem Tag

Die Tour wird zum Abenteuer, wenn für die Strecke nur ein Tag zur Verfügung steht. Der Wunsch diese Strecke zu fahren existiert schon länger. Für die Umsetzung bot sich der Himmelfahrtfeiertag der 05.05.2016 mit vorhergesagten 16° C und Frühlingssonne an. Der letzte Zug, der Fahrräder mit nimmt, fährt vom Berliner Hauptbahnhof um 20.30Uhr über Wittenberg und Leipzig zurück nach Chemnitz. Das Internet berechnet für die Strecke nach Berlin 13h Fahrzeit. Start sollte 6.00 Uhr sein, um eine kleine Reserve zu haben. Vorteilhaft ist, dass die Zugstrecke nach Wittenberg fast vollständig entlang der Fahrradstrecke verläuft, und ein Abbruch damit auch möglich wäre.
Das Fahrrad ist nichts besonderes, ein Standard-Fahrrad mit einer 7-Gang Kettenschaltung und Nabendynamo Dauerlicht. Zur Ausrüstung gehören noch zwei 1,5l Wasserflaschen und eine Rolle Doppelkeks.
Die Planung kann man einem Routenplaner überlassen, sollte man aber nicht. Die Strecke ist mit etwa 240 km recht lang und ein Profi bin ich nicht. Wird der Weg aus dem sächsischen Bergland dem Computer überlassen so verschwendet man seine Kräfte auf den ersten 75km. Als Ideal erweist sich eine leicht geänderte Streckenführung von Chemnitz entlang des Chemnitz Flusses und dann entlang der Mulde. Auf dieser Strecke grüßt das sächsische Bergland nur 3x mit kleinen Bergchen.
Um 6.00Uhr morgens zeigte das Thermometer 8°C. Die Sonne lugte über die Chemnitzer Dächer und entlang des Chemnitzflusses lag Nebel. Der Chemnitztal Radweg war noch nicht erwacht. Mit dem Rad ging es zügig vorwärts. Der Radweg endet kurz vor Auerswalde. Mit dem eher flachen Auerswalder Berg grüßt das Bergland zum ersten mal. Die Landstraße bis Taucha/Markersbach und weiter durch das Schweitzertal wird um diese Zeit kaum befahren.  Das sich der Name Chemnitz von "steinigem Bach = Kamenica" herleitet, wird im Schweitzertal am besten und schönsten sichtbar. Leider gibt es entlang des Chemnitzflusses noch keinen Wanderweg.  Überholt wurde ich von zwei Rennrad-Radlern und bis Göritzhain von 4 PKW und 2 Motorrädern. Ein Feiertag hat Vorteile.
In Göritzhain muss man, um in das Muldental zu gelangen, über einen Berg klettern. Der Blick von oben lohnt sich um diese Jahreszeit. Chemnitztal und Muldental liegen im Nebel die Rapsfelder blühen gelb und die Sonne wärmt schon und zieht die Nebel nach oben. Es lohnt sich 5 Minuten Pause einzulegen. Ärgerlich, dass ich die Pause unfreiwillig einlegen musste. Der Nabendynamo kreischte plötzlich metallisch und gibt das Ende seiner Lebenszeit bekannt. Das Radlager zerfällt nicht, dreht aber nur noch schwer. Es ist zu zeitig ab zu brechen, aber mit einem festen Lager fahren ist wie mit gezogener Handbremse Auto fahren.  Was solls. Es ist eben doch ein wenig Abenteuer.
Der Muldentalradweg führt durch Rochlitz. Es würde sich ein Abstecher zur Stadt anbieten, aber nicht wenn das Ziel Berlin ist. Also weiter mach Colditz. Der Radweg verläuft immer rechtsseitig der Mulde neben der Muldentalbahn, die nicht mehr betrieben wird. Die Gleise liegen aber noch.  Vor Colditz treffe ich die beiden Renn-Radler wieder. Ein kleiner Plausch, sie sind auf dem Weg nach Brandenburg. Na dann, vielleicht sieht man sich wieder... Der letzte Grüß des Berglandes ist ein etwa 40m hoher Berg. In Colditz fährt man am Schloß vorbei. Hier gilt das Selbe wie in Rochlitz, das Ziel ist weit. Die Burg Colditz mit der interessanten 2WK Geschichte muss ich irgendwann noch einmal besuchen.
Ab Colditz verläuft der Radweg auf dem alten Gleiskörper der Bahn bis Grimma. Kräfte mäßig ist es das einfachste Stück der Strecke. Landschaftlich ist es ebenfalls sehenswert. Der Radweg füllt sich übersichtlich mit Radlern und Wanderern. Die ersten Männertagsbuden werden eröffnet und Grillplätze aufgebaut. Ich hatte auf dieser Strecke mit Bollerwagen gerechnet, aber im nördlichen Sachsen scheint dieser Brauch nicht so verbreitet zu sein, wie in der Chemnitzer Region.
Ab Grimma wird die Landschaft flacher. Bis kurz vor Wurzen läuft der Radweg weiter an der Mulde entlang. Die letzten Kilometer am Fluss kann man genießen. Ab Wurzen verlasse ich den Fluß und fahre zum Bahnhof. Ich bin jetzt 4 Stunden unterwegs. Hier kann ich meine beiden 1,5l Wasserflaschen gegen volle tauschen. Ich fahre weiter nach Norden Richtung Doberschütz. An einer Kreuzung habe ich ein Orientierungsproblem.
Ein Radler, optisch ein sehr rüstiger Rentner, kann mir weiter helfen. "Wie komme ich denn nach Doberschütz?" "Als ich jünger war bin ich auch immer mal dahin gefahren. Im nächsten Ort am Gasthof nach links. Ich bin jetzt 92 Jahre alt und fahre mit dem Fahrrad nur noch regelmäßig in das Pflegeheim meine Freunde besuchen. Zu meinem 92. Geburtstag habe ich mir ein Elektromotor anbauen lassen." Wir haben noch ein wenig geredet. 92, er ist 1924 geboren und 40 Jahre älter als ich. Ein längeres Gespräch hätte ich da gerne geführt. Aber weiter.
In Doberschütz erhalte ich den Tipp einen Waldweg zu nutzen um die Strecke nach Dommitsch abzukürzen. Hier mache ich eine Pause. Etwas Wasser im Gesicht fühlt sich auch gut an. Dommitsch kommt mir doch irgendwie bekannt vor. Ach ja, in dem Haus da vorn links haben wir mal übernachtet, als wir die Elbe entlang geradelt sind.
Ich setze mit der Fähre über die Elbe über und bin in Brandenburg. Einen subjektiven Unterschied kann ich fühlen. In Sachsen sind die Radwege mal besser oder schlechter beschildert. In Brandenburg habe ich keine Schilder mehr gesehen. Brandenburg ist Fahrradland und vermutlich weiß jeder wo die Radwege verlaufen. Ich als Fahrradtourist bin da wohl eine ungewöhnliche Erscheinung.
Nächstes Ziel ist Jessen. Die Landschaft ist flach aber leicht hügelig. Neben meinem kaputten Nabendynamo bremst mich auch ein mäßiger Wind von Nordost. Die gelben Rapsfelder nehme ich zwar noch wahr, aber so langsam konzentriere ich mich nur noch auf das fahren.
Zwischen Jessen und Jüterbog habe ich erstmalig keine Lust mehr, zumal die 29km fast ohne Ortschaften abgeradelt werden müssen. Der Wind ist ekelig. Irgendwie fahre ich jetzt mechanisch. Es ist 15 Uhr. Ab hier könnte ich mich in den Zug setzen und zurück fahren. In Jüterbog gibt es eine kleine Motivation. Ich lese Berliner Straße und auf einem Schild steht Berlin 79km
Nach Luckenwalde bekomme ich einen Tipp für einen Radweg durch den Wald. Radfahren ohne Wind das ist doch schon mal schön. In Luckenwalde habe ich das Problem den richtigen Radweg zu finden, und finde ihn nicht. Fragen bringt nichts. Ich kann nur Autofahrer fragen. Radler kann ich keine wissenden finden. Ich fahre in Richtung B101. Diese ist aber autobahnähnlich ausgebaut und für das Fahrrad nicht zugelassen. Fahrradwegschilder finde ich nicht. Das Navi ist auch keine Hilfe. Vor allem, wenn es zu Hause liegt. Ich lande doch auf der 101 und verlasse diese nach einigen 100m durch eine Tür im Drahtzaun. Dank des Feiertages waren nur ganz wenig Autos unterwegs. Nach einigen Kurven durch den Wald treffe ich auf einer Brücke zwei Radler. "Wo verläuft den hier der Radweg?" "Na gleich hier hinter dem Lärmschutzwall entlang der Baumreihe." Nun das gefahre durch den Wald auf der falschen Seite der Straße hat mich 30 Minuten gekostet.
Kurze Zeit später habe ich das Problem mit dem autobahnähnlichen Ausbau wieder. Allerdings es gibt Hilfe. Ein Elektroradler überholt mich und sagt. "Fahr mal hinter mir her. Ich kenne den Weg." Na toll. "Heh, ich bin heute früh um 6Uhr in Chemnitz losgefahren." "Ja, fahr mal hinterher." Nach etwa 190km in den Beinen und dem kaputten Lager des Nabendynamos wird der Abstand zum Elektroradler immer länger. Irgendwann gibt es ein Radwegschild nach Berlin und eine Tankstelle. Pause!
Das Ziel ist jetzt sichtbar. Also geradlinig nach Norden bis zum Zentrum. Potsdamer Str., Potsdamer Platz, Ziel erreicht. Es ist 19 Uhr und es sind noch 1,5 Stunden bis zur Zugabfahrt. Es wäre die Gelegenheit noch eine Runde durch die Berliner Innenstadt zu fahren, aber so richtige Freude will sich nach 240km nicht einstellen. Also gleich zum Bahnhof.
Der Zug kommt aus Schwedt, das Fahrradabteil ist noch gut belegt. In Wittenberg bin ich dann fast allein im Zug. In Richtung Leipzig füllt sich der Zug wieder. Radler sind auch im Zug so das sich noch einige Gespräche ergeben. Der Zug von Leipzig nach Chemnitz ist ein hauptinstandgesetzer Reichsbahn-Abteilzug. Aktuell gilt das Teil als allgemeiner Aufreger. Zwei 6-Personen Abteile wurden ausgebaut und zum Traglastabteil umgebaut. Schön ist anders, aber für das Fahrrad ist es in Ordnung. Ich setze mich in das angrenzende Abteil. Viel passiert um 23Uhr auf dem Bahnsteig nicht mehr. Die Abteile bleiben übersichtlich belegt. Blickkontakt zu Rad habe ich nicht. Leider. In Chemnitz ist das Rad noch da, aber alle nicht verschraubten Teile sind weg. Die leeren Trinkflaschen, ein durchgeschwitztes Kopftuch, der Gummi für das Hosenbein und die Rahmentasche mit bescheidenen Inhalt, zusammen 15Euro sind weg. In einem modernen Zug, wie 2015, wäre das wohl nicht möglich gewesen. 01Uhr bin ich zu Hause.
Am folgenden Tag tausche ich den defekten Nabendynamo. Ich höre in mich hinein und beschließe die Tour nicht wieder zu fahren. Besser sind drei Etappen:
  • Chemnitz-Wurzen, Mulde und sächsische Burgen
  • Wurzen-Jüterbog, brandenburgische Kleinstädte
  • Jüterbog-Berlin, ein wenig Hauptstadt
Einen weiteren Tag später bin ich gar nicht mehr der Meinung, dass ich diese Tagestour nie wieder fahre.
Fahrrad

Strecke

  Verbrauchsdaten:

  • 7,5l Wasser
  • eine Rolle Doppelkeks
  • zwei Roster mit Brötchen
  • ein Sandwich
  • zwei Burger
  • 0,5 l Cola
 

 
Der Kalorienrechner im Internet
  berchnet für 76kg Gewicht und
 13h Fahrradfahren
  5500 kcal = 23900kJ
  Wird Doppelkekeks bis Cola in
  Diesel umgerechnet ergibt sich:
  • Brennwert Dieselkraftstoff = 37500kJ/l
  • Verbrauch pro 100km = 0,25l Diesel-Äquivalent

 







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